Donnerstag, 06.12.2012

Flammendes Algerien – Akten, Geheimdienstprotokolle und René Vautier
Vortrag von Madeleine Bernstorff
17.30 Uhr

Um die weitreichende Einflussnahme der französischen Regierung auf die Darstellung des Algerienkriegs zu umgehen, schlug René Vautier 1957 dem DEFA-Dokumentarfilmstudio in der DDR vor, einen Film über die algerischen Befreiungskämpfe zu produzieren. „Ich also dort bei der DEFA, der deutschen Fabrik für Filmkunst und Dokumentarfilm in der Otto-Nuschke-Straße in Berlin, mit einer ganzen Menge 16mm-Kodachrome belichtet im Aurès-Nementchas – und ein kleines Stück eines Ringes … im Schädelknochen – das kommt von einer Kugel in der Kamera … Problem für Günther Klein, der Leiter der Dokumentarabteilung: ob er eine Anfrage stellt ans Zentralkomitee der Partei von höchster internationaler Wichtigkeit: soll man bei der Entwicklung und dem Schnitt eines militanten anti-kolonialen Filmes helfen – mit dem Risiko die französische Regierung zu verärgern? Diese Anfrage wird geprüft von Dutzenden von Kommissionen und Unterkommissionen, und es gibt keine Hoffnung, dass sie innerhalb von zwei Monaten beantwortet würde. Wir diskutieren in seinem Büro, ich lege ihm die Vorteile dar, die ich für die DEFA darin sehe, sich technisch an dieser Operation zu beteiligen, … ‚Ihr bekommt die Vertriebsrechte in allen sozialistischen Ländern, die keine gefilmten Dokumente über Algerien haben.‘ Er kratzt sich den Kopf, perplex […]“ (aus: René Vautier: Caméra citoyenne, 1998).
am 6.12.2012 um 17.30 Uhr – im Anschluss an den Vortrag findet eine Vorführung der Filme Flammendes Algerien und La distribution de pain statt.

Flammendes Algerien

ALG/DDR 1958, R: P: René Vautier, P: René Vautier, FLN, DEFA / Willi Müller, 23‘, 35 mm, dF
Bezug: Bundesarchiv/Filmarchiv

La distribution de pain (ex: Réfugiés algériens en Tunisie)

Brotverteilung (ex: Algerische Flüchtlinge in Tunesien)
ALG/F 1957/2011, R: Cécile Decugis, P: Hedy Ben Khalifat, 14‘, BetaSP, OmU
Bezug: Cécile Decugis
Deutsche Untertitel: .rtf / .ppt

 

Anfang 1957 wurde auf Weisung des französischen Armeeministers entlang der algerisch-tunesischen Grenze ein elektrifizierter Grenzzaun mit Verminung errichtet, die sogenannte „Ligne Morice“ – eine verbotene Zone. Im Juni 1957 drehte die spätere Nouvelle-Vague-Cutterin Cécile Decugis mit Unterstützung des tunesischen Roten Halbmonds eine genaue Reportage über die Lage der Flüchtlinge. Der Ton ging verloren, Decugis hat 2011 eine neue Textfassung erstellt.

 

DDR – Algerien: Internationalismus im Kalten Krieg
19.00 Uhr

Die Frage
Einführung: Olivier Hadouchi
DDR 1962, R: Mohand Ali Yahia, Mitwirkender: Henri Alleg, P: Deutsche Hochschule für Filmkunst/HFF „Konrad Wolf“ Potsdam-Babelsberg, 16′, Beta SP, dF
Bezug: HFF Potsdam     

Allons enfants… pour l’Algérie
Einführung: Fabian Tietke
DDR 1961, R: Karl Gass, Regie-Assistenz: Winfried Junge, 38‘, 35 mm, dF

Bezug: Progress Film

Der ehemalige algerische Maquisard Mohand Ali Yahia studierte Anfang der 1960er Jahre an der Filmhochschule in Babelsberg und drehte dort Die Frage nach dem gleichnamigen berühmten Buch von Henri Alleg, eine erste Aufzeichnung über Folter im algerischen Befreiungskrieg. Henri Alleg selbst ist in dem Film zu sehen.


„Dass im Algerienkrieg tausende Westdeutsche auf französischer Seite kämpften, verblüfft aus heutiger Sicht, war aber über mehrere Jahre hinweg Gegenstand einer Auseinandersetzung zwischen den beiden deutschen Staaten. Karl Gass’ Allons enfants… pour L’Algérie stellt anhand der Anwerbung von Söldnern für den Algerienkrieg die Verbindung zwischen einem scheinbar weit entfernten Konflikt und der deutschen Gegenwart der 1960er Jahre her. Dabei überrascht auch der Ton, den der Film anschlägt: Während die meisten Agitationsfilme zum Algerienkrieg den bewaffneten Kampf der FLN, der Nationalen Befreiungsfront, in heroisierender Weise zeigen, kombiniert Gass das Thema der deutschen Söldner mit dem Porträt einer Frau aus den Reihen der FLN und zeigt deren alltäglichen Kampf.“ (Fabian Tietke). Karl Gass, Mitbegründer des Dokumentarfilmfestivals Leipzig, und René Vautier verband eine langjährige Freundschaft. Vautier unterstützte Gass bei seinen Dreharbeiten mit Kontakten in Algerien. Zudem verhalf er einigen algerischen Produktionen zur Vorführung auf dem Filmfestival in Leipzig.
Einführung: Fabian Tietke
Das Filmblatt zu Fabian Tietkes Vortrag als pdf

 

Avoir 20 ans dans les Aurès
21.00 Uhr

Mit 20 Jahren in den Aures /To Be Twenty in the Aures
TUN/F 1972, R: René Vautier, K: Pierre Clement, Daniel Turban, Mitwirkende: Alexandre Arcady, Hamid Djellouli, Pierre Vautier, Alain Vautier, P: Unité de Production Cinématographique de Bretagne, 90‘, Blu-ray, OmeU

Bezug: Cinémathèque de Bretagne

Nachdem René Vautier aus Algerien nach Frankreich zurückgekehrt war, trieb ihn die Frage um, wie es dem Militär gelingt, aus jungen Männern Kriegsverbrecher zu machen. Er sprach in Zügen Männer an und befragte sie sehr beharrlich zu ihren Erfahrungen während des Krieges. Diese oft von mehreren Personen bezeugten Aussagen verwendete Vautier als Basis für Avoir 20 ans dans les Aurès.
Der Film zeigt eine Gruppe junger, antimilitaristisch gesinnter Soldaten, die vor die Wahl gestellt werden, auf verschiedene Einheiten verteilt zu werden oder gemeinsam mit einem ehrgeizigen Offizier eine Kundschaftermission im Aurès-Gebirge zu übernehmen. Sie entscheiden sich, zusammen zu bleiben und müssen schnell einsehen, dass sie dem Druck der Umstände wenig entgegenzusetzen haben. Nach der Parteinahme der Soldaten beim gescheiterten Putsch der Generäle sieht der letzte Kampfverweigerer der Gruppe als einzigen Ausweg die Desertion in die Berge.


Trotz langer Bemühungen erhielt Vautier für die Produktion lediglich ein Fünftel des notwendigen Budgets und statt der veranschlagten sechs standen schließlich nur zwei Drehwochen zur Verfügung. Vautier passte insbesondere die Schauspielführung an diese Bedingungen an. Er bezeichnet die Produktion als “Dreh-Happening”, eine Situation, in der die Darsteller auf Basis der Zeugenaussagen spontan agieren konnten. (sb)

Für 20jährige ist der Eintritt frei!

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